Andrea Tippel

Philoars 2009

Die Philoars Library

Zuerst erschienen in: The Philoars Library Edition. Selbstverlag Andrea Tippel, Berlin 2009

besteht aus 108 Farbkopien im Querformat (29,7 x 42 cm). Auf jeder Form sind im Durchschnitt 18,6 Buchrücken zu sehen, so, wie sie sich in einer ungeordneten, weil zu engen Bibliothek wiederfinden ließen.

Die 2000 Titel der Bibliothek beziehen sich auf eine Hypothese, die ich vor ungefähr 14 Jahren aufgestellt habe. Sie behauptet, daß die Kunst sich in der jetzigen Epoche in einer der Philosophie vor ungefähr 2400 Jahren, der Zeit des folgenreichen Übergangs von der sokratischen zur platonischen Denk- und Handlungsweise, die, u. a. auch vermittels der Verschriftlichung, den Übergang von der Weisheit selbst, Sophia, zur Philosophie, der Liebe zur Weisheit, markiert, vergleichbaren Situation befindet.

Die zentralen Begriffe der Bibliothek sind: Weisheit/Sophia, Philosophie und der von mir für das Entsprechungs-Phänomen geprägte Begriff Philoars. Der italienische Philosoph G. Colli (mit Montinari Herausgeber der kritischen Nietzsche Gesamtausgabe) hat in seinem Buch ‚Die Geburt der Philosophie‘ Parameter für den Übergang von der Sophia zur Philosophie und die vergleichende Analyse der Termini Weisheit und Philosophie vorgelegt. Er stellt die Abwesenheit der Weisheit im Begriff der Philosophie fest.

Die Philoars Library verbildlicht eine gedankliche Operation, die das inhärent Retrospektive der zukünftigen Historiographie der Kunst des 21. Jahrhunderts doch der Gegenwart jetzt schon visuell zugänglich macht. Insofern geht es in ihr um das Phänomen der Bilder. Sie verwandelt durch ihre anwesende Abwesenheit das futurisch Retrospektive in ein zukünftig zurückgeschaut-habendes Gegenwärtiges.

Eine Bibliothek, die auf einer Hypothese fußt, die sich ihrerseits auf eine kommende vollkommene Abwesenheit (ars) bezieht, scheint ebenso unmöglich zu sein wie das materialisierte Futur II. Die Titel der Bibliothek sind in des Wortes zweiter Bedeutung, als Titel eines Buches, nach dem Prinzip des zeitlich paravirtuellen Bumerangs, jetzt und hier lesbar; sie prä-repräsentieren zukünftige Schriften der Philoars-Philosophie.

In des Wortes erster Bedeutung aber, als Text eines Buches, folglich nicht. Denn durch die Unmöglichkeit ihres Schriftlich-niedergelegt-worden-Seins kann die Weisheit in Epochen, in denen die Verbindungen zu ihr ganz unterbrochen sind, auf keine Weise repräsentiert werden. „Und – wer weiß – vielleicht tritt auch einmal die Weisheit aus ihrem Felsenverliese“ Meret Oppenheim.

Die Philoars Bibliothek ist so sowohl, auch im Sinne der Verkürzung, die antizipierende reine Philosophie (der Philoars), eine Bibliothek aus aus der Zukunft herüber erscheinenden Titeln, als auch die reine Sophia, die Weise, die den Lauf der Geschichte vorauszusehen vermag, aber durch die Verschriftlichung sich sozusagen aus sich selbst entfernte und daher ohne Erscheinungsform ist.

Es ergibt sich also, daß eine Person, die alle Titel der Philoars Library gelesen haben wird, nicht nur wissen wird, was Philoars ist, also wie die gegenwärtige Kunst im Begriff ist, sich zu entwickeln, nämlich, entsprechend der vollkommenen Abwesenheit der Sophia, in Richtung ihres unweigerlichen vollkommenen Verschwindens, sondern auch im Stande sein wird, den historischen, also retrospektiven Wendepunkt in der zukünftig damaligen (gleich heutigen) Kunst in der jetzigen Gegenwart erkennen und sich so in den unmöglichen Zustand der Weisheit versetzen zu können. Dann ist die Philoars Library die Bibliothek der Sophia.

Das westliche Denken ist, da uns die Dimension der Weisheit nicht zugänglich ist, Jahrtausende gut mit der Philosophie gefahren. Wie gut wirklich, ist vielleicht gerade im Begriff, sich herauszustellen. Es ist also zu vermuten, dass wir in Zukunft lange Zeit ebenso gut mit der Philoars fahren werden, da wir die Kunst selbst nicht werden vermissen können. Bis sich herausstellen wird, wie gut wirklich.

Oktober 2009