reichtum an erfüllung.
Zuerst erschienen in: Senator für kulturelle Angelegenheiten und Kunstamt Berlin-Neukölln (Hrsg.): 10 Stipendiaten. Verlag des Senats: Berlin, 1985
es wäre mir wohl nicht in den sinn gekommen, etwas derartiges auszudenken, wenn es sich nicht, schon vor jahren, auf so freundliche (nämlich als ich spazierenging) und alle schwierigen bedingungen so leicht erfüllende weise angeboten hätte.
und nun, nachdem ich 14 jahre lang in dieser halben stadt lebe, nehme ich das angebot an, dieser ganzen halben stadt etwas gutes oder etwas freundliches tun zu wollen und das muss ja vieles heissen!
denn wenn man seiner ganzen stadt etwas gutes oder freundliches tun will, so ist das ein grosses unternehmen, weil man es dann ja sozusagen allen leuten tun muss und somit eben jedem einzelnen, ohne, dass jeder einzelne, extra etwas dafür tun muss, denn wenn etwas extra etwas verlangt, ist es eben nicht mehr für alle.
also muss man es ihr zuallererst möglichst überall tun, was soviel heissen kann, wie es ihr an vielen orten gleichzeitig zu tun und deshalb muss man es ihr wohl unter freiem himmel tun, also auf der strasse, und man muss es unbedingt tag und nacht tun wenn man es für alle tun will und natürlich darf man es ihr nicht anherrschend tun, denn es soll ja etwas freundliches sein, und deswegen muss man es ihr da tun, wohin jeder sowieso geht und sogar da, wo jeder sowieso verweilt; und selbst diese freundliche bedingung, so unwahrscheinlich es auch klingen mag, ist wie von selbst erfüllt!
dann muss man es da tun, wo sowieso schon platz ist denn es kann ja nicht der sinn einer kleinen freundlichkeit für alle sein, von einem riesigen haufen geld extra möglichst überall etwas aufzubauen, das dann eine weile im weg steht und das man dann später wieder abbauen muss, um es wegzuschmeissen.
und wenn man jemandem etwas freundliches tun will, so ist es nicht gerade angebracht, ihm irgendeinen wildschreienden riesen in den weg zu stellen, weil wir uns schon vor einer motte im schlüsselloch entsetzen, ganz abgesehen davon, dass sich das mit nicht einer einzigen der bedingungen vertrüge.
ja, und tatsächlich gibt es eben etwas, das all diese hochschwierigen bedingungen erfüllt und darüber hinaus noch etliche weitere schwierige auch.
denn wenn sich dem, der seine sachen auf papier macht, soetwas anbietet, wird es sicherlich sofort mit der bedingung unter freiem himmel einen zusammenstoss geben, denn das papier ist eben auch ein zuckerpüppchen wenn der freie himmel regnet, stürmt und schneit usw., das sich nicht erholt und will deshalb ein dach über dem kopf und ein glas vorm gesicht haben, sie werden sehen, es wird kleine dächer, die sowieso schon da sind, über dem kopf und schützende gläser, die sowieso schon da sind, vorm gesicht haben und das unter freiem himmel.
nun ist blankes papier angucken kaum jemandes sache. also wird man zeichnungen darauf machen – und darum geht es hier ja auch – und die brauchen nachts, wenn alle katzen grau sind, licht, damit sie tag und nacht zu sehen sind, denn es ist ja angekündigt, dass sie morgens keinen öffner und einlasser und abends keinen rausschmeisser und schliesser, kein freies wochenende oä haben werden, damit die leute nicht extra ein- und aus- und hin- und hertreten müssen sondern tag und nacht unter freiem himmel. die zeichnungen werden sehr feines licht haben, das sowieso schon da ist, sie werden von hinten durchleuchtet sein.
und möglichst überall müssen sie sein, nun, da mögen mir die grosstädtischen möglichstüberalls, wie zb die steine, etwas verzeihen. man sagt jetzt: ich hab dich heute morgen tausend mal angerufen, man neigt zu abrundungen. die bedingung des möglichst überall rundet sich von 183 auf 100 ab, also gleichsam überall an hundert stellen und tag und nacht und unter freiem himmel; und wenn man bedenkt, dass diese stellen, die sowieso schon da sind, sammelstellen sind und dort tag und nacht und in kürzesten zeitabständen die leute ein- und aus- und umsteigen, so mag man behaupten, dass die 100 einen guten drall in richtung überall kriegt.
und damit, dass es sich eben um solche sammelstellen handelt, die immer mit warten-bis-es-los- und warten-bis-es-weitergeht verbunden sind, erfüllt sich nun die krönungsbedingung des sowieso verweilens, denn wenn man der ganzen halben stadt etwas nettes tun will, so muss man nicht nur dafür sorgen, es da zu tun, wo jeder sowieso hinkommt, denn das könnte ja auch heissen, dass jeder sowieso vorbeigeht, sondern erst recht dafür, es da zu tun, wo jeder sowieso verweilt.
und als nun alle bedingungen erfüllt waren, wozu man nichts tun musste, denn alles war schon getan und da, blieb mir noch, 100 kleine zeichnungen zu machen:
berlin, juli 1985
leuchtsäulen-projekt für berlin: über die stadt west-berlin sind 183 haltestellen-leuchtsäulen der berliner verkehrsbetriebe verstreut, haltestellen-leuchtsäulen sind ca. 2.70 m hohe, 40 cm breite, 15 cm tiefe gelbe hohlkörper, die an bushaltestellen stehen, alle vier seiten dieser säulen sind fensterartig in von innen beleuchtete glasfelder unterteilt, die zu reklamezwecken vermietet werden, ein ca. 40 x 37 cm grosses fenster in augenhöhe zeigt auf der gehwegseite den fahrplan. darüber liegt das kleinste, ein 18 x 37 cm grosses feld. in diese kleinsten fenster sollen an möglichst vielen orten der stadt zeichnungen hinter glas installiert werden und dort 2 oder 3 monate bleiben, die innenbeleuchtung der säulen, das spezialgestrichene papier, die auswahl der stifte und die bearbeitung des papiers auf beiden seiten ermöglichen, dass die zeichnungen tag und nacht gut zu sehen sein werden, alle werden originale sein, berlin als netzgalerie unter freiem himmel, tag und nacht geöffnet.