Die Blumensträusse
Zuerst erschienen in: Voss/Roth/Keusch (Hrsg): Dieter Roth Souvenirs. Hatje Cantz: Stuttgart, 2011, S. 136
Soll man sagen: ich sterbe nächstens irgendwann also Aufwiedersehn – – – und sich dann nächstens irgendwann schon wieder sehn? So endgültig und doch so vage?
Besser nicht.
Wie kriegt man Sprache da hin, wo schon gewiss zwischen Leben und Tod geschwebt wird? Wieso schwebt? Zwischen Leben und Tod geht und steht und spricht und macht.
Gibt's Besseres als Blumensträusse, um zu sehen wie zwischen Leben und Tod geschwebt und geblüht wird?
Aber Adieu will man doch sagen? Muss man! und Dank oder verzeih – aber wie?
Wie kriegt man das hin, in solcher Falle doch zu Wort zu kommen?
Nachdem er, in dieser obscuren Stunde, aus dem Leben gestürzt war, wurde dann sonnenklar: die Blumensträusse! erkennbar!
Als gegenläufiges Muster gleichzeitig und an vielen Aktivitäten vorbei zart und dringend dazwischen
nach vorn geschoben ins umgebende Feld unbemerkt die unlesbaren Zeichen gesetzt, damit, wenn er nicht mehr da, sie sich von selbst entschlüsseln.
Denn dann plötzlich, mit dem einen Datum erst, flammten die Gaben als Abschiede auf, ringsum an vielen Orten gleichzeitig blühten die Blumensträusse als Abschiedsgesten auf und die Absicht machte sich sichtbar als Geste hinter der Gabe in der langen bezaubernden Tradition der Blumenmaler.
Und der schweren des Grabschmucks, aber darin vice versa!: Blumen ans Leben gelegt.
Gibt's Besseres als Blumensträusse, um zu zeigen, dass zwischen Leben und Tod geschwebt wurde? Also fielen auch diese Schuppen von den Augen: die Geste war, als man sie nahm, noch im Geschenk unsichtbar eingewickelt; war schon Metapher, aber als diese für die Ahnungslosen erst pünktlich, erst danach erkennbar – so gut eingebettet mimetisch vollkommen und aller Vagheit trotzend zeitsetzend präzise. Das hat so grandios geklappt!!
Wie kriegt man Worte da hin, wo dies zu sagen war? Lange hat's gedauert.
Berlin, Dezember/ Januar 2002/ 03